Ein Urteil des Dortmunder Schwurgerichts von letzter Woche, das wohl nur für Volljuristen vollumfänglich nachvollziehbar bleibt, sorgt weiter für Fassungslosigkeit und zunehmende Kritik in der bürgerlichen Öffentlichkeit Dortmunds. Verhandelt wurde die Anklage gegen Anas N., ein 21jähriger mit Migrationshintergrund. Er ist vorbestraft und mit einer früheren zweijährigen Bewährungsstrafe belegt. Im Westpark, bekannt als Kriminalitätsschwerpunkt, hatte Anas N. im Juni 2021 nach einem Streit den ebenfalls 21jährigen Dortmunder Eryk Klein erschossen. Das Landgericht erkannte völlig überraschend auf Notwehr und sprach den Angeklagten frei. Ihm steht jetzt für die Untersuchungshaft eine Haftentschädigung zu.

 

Was das Urteil kaum nachvollziehbar macht, ist der Ablauf der Tat. Zwei Gruppen hatten – wie so oft im Westpark – einen Kontroverse untereinander. Es ging offenbar um eine Lappalie. Nach einer ersten Auseinandersetzung ging Anas N. in die Wohnung seiner Mutter, nahm dort eine 9 mm Pistole an sich und fuhr zurück in den Westpark. Dort setzten sich die Kontroversen fort, in deren Verlauf Eryk Klein nach Zeugenaussagen eine Bierflasche zerbrach und auf Anas N. zulief. Als er noch rund 5 Meter von N. entfernt war, feuerte Anas N. den tödlichen Schuss auf seinen Widersacher ab.

 

Für Oberstaatsanwalt Carsten Dombert, der selbst den Freispruch beantragte, war die Sache klar: „Es lag eine Notwehrsituation vor, der Angeklagte musste einen Angriff fürchten, deshalb war die Schussabgabe erlaubt“.

 

Ob das in der Gesamtwertung des Tatablaufs so gesehen werden kann, ist sehr fraglich. Zum einen hätte sich Anas N. durch schlichtes Weglaufen aus dem Gefahrenbereich bringen können. Er hätte auch einen Warnschuss abgeben können. Was er nicht tat. Vor allem aber wurde vom Gericht die Tatsache nicht angemessen bewertet, dass der Vorbestrafte Anas N. nach der ersten Auseinandersetzung gezielt zur Wohnung seiner Mutter gefahren war, sich dort erst die Waffe zielstrebig besorgte und zum Ort der Auseinandersetzung zurückfuhr. Das Gericht klärte übrigens nicht woher die Waffe stammte und warum sich Anas N. überhaupt die großkalibrige Waffe im Zuge des Streits besorgt hatte.

 

Es ist klar, dass dieses Urteil wegen seiner einseitigen Wertung des Tathergangs keinen Rechtsfrieden herstellen wird – weder in der Dortmunder Bürgerschaft noch im Westpark, wo sich tagtäglich latent gefährliche Gruppen ein Stelldichein geben. Am Ende ist festzustellen, dass der erheblich vorbestrafte Anas N. die Waffe gezielt für den Streit im Westpark beschafft hatte, kurz darauf einen Gleichaltrigen erschoss und unbestraft nach der Urteilsverkündung nach Hause gehen konnte.

 

Da fällt es kaum ins Gewicht, dass Anas N. noch einmal wegen des unerlaubten Waffenbesitzes vor Gericht erscheinen muss. Man darf gespannt sein, ob der Todesschütze hier auch einmal mehr mit Bewährung davonkommt. Erhält er wegen der illegalen Waffe eine Haftstrafe ohne Bewährung, müsste der Widerruf der früheren zweijährigen Bewährungsstrafe erfolgen. Dann ginge Anas N. tatsächlich in den Knast, der Tod von Eryk Klein bleibt aber dennoch ungesühnt.

 

Heiner Garbe